Cognitive Computing Watson stößt das Tor in die Zukunft der IT auf
Eine neue Technologie schickt sich an, die IT von Grund auf umzukrempeln. Statt sich an Lösungen für Teilbereiche der Informationstechnologie zu versuchen, soll der Computer in Zukunft selbst erkennen und denken können - und damit eigenständig Probleme lösen.
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So einfach und kurz kann man den neuen Ansatz erklären, den IBM mit seinem Cognitive-Computing-Schlagwort beschreibt. Er reicht angefangen bei der Künstlichen Intelligenz über Analytics, natürlicher Sprachverarbeitung und neuronale Netzwerke bis hin zum traditionellen Maschine Learning. Watson ist ein solches kognitives System. Es wurde so konzipiert, dass es Daten, egal woher sie kommen und in welcher Form sie vorliegen, verarbeiten kann.
Watson ist unter anderem in der Lage, Millionen von Textdokumenten in Sekunden zu lesen und zu verstehen. Das stellt einen Meilenstein dar; denn bisher sind rund 80 Prozent aller Daten für Computer nicht verwertbar. Watson kann das angeblich erkennen und folgt dabei dem Prinzip, das auch dem menschlichen Denken entspricht: Aus Fehlern und Erfolgen lernen; Rückschlüsse ziehen; Daten interpretieren, um Muster und Verbindungen zu erkennen und zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.
Dafür bereitet das System Daten und Informationen auf und organisiert sie so, dass der Umgang mit Inhalten sehr viel effizienter wird. Watson kann das schneller als jeder Mensch oder jede Gruppe. Doch um diese Inhalte richtig zu bewerten, braucht es zusätzliches Training – von Fachexperten, die ihm bei der Einordnung helfen. Und genau wie die menschlichen Experten nutzt Watson dafür einen kognitiven Bezugsrahmen zu einem bestimmten Thema oder einem definierten Fachbereich und entwickelt darauf aufbauend seine Expertise – in unfassbarer Geschwindigkeit.
Was ist und kann Watson?
Allerdings erstellt Watson keine statistischen Datenauswertungen wie die herkömmlichen Analytics-Tools. Zwar nutzt Watson intern statistische Methoden, um überhaupt arbeiten zu können. Er hat aber einen ganz anderen Anspruch.
Der Anwender muss keine Applikation bedienen, sondern erhält eine natürliche Antwort auf eine natürliche Frage. Das ermöglicht eine wesentlich einfachere Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Watson wertet die Daten aus, abstrahiert sie und liefert die Antwort in der Sprache des Anwenders. Verglichen mit herkömmlichen Analyse-Werkzeugen und ganz generell anderen IT-Projekten und -Moden ist das ein revolutionärer Ansatz.
Konkrete Fragen und konkrete Antworten
Konkret könnte man sich als Anwendungsszenario etwa vorstellen, Watson die Unmengen an Facebook- oder Twitter-Einträgen zu einem bestimmten Thema auswerten zu lassen. Mitarbeiter, Manager und Entscheidungsträger könnten dann - ohne sich näher mit Analytics-Software beschäftigen zu müssen - natürlichsprachliche Anfragen stellen, die ihnen das System beantwortet. Etwa:
- Was halten die Leute von unserem Produkt x?
- Wie kommt die Marketing-Kampagne y an?
- Welches Image hat unser Unternehmen bei jungen Leuten?
Watson würde die Fragen analysieren und in den Social-Media-Einträgen nach entsprechenden Antworten suchen. Diese werden dem Fragesteller dann präsentiert.
Befürchtungen werden zerstreut
Ein Computer, der versteht und sich mit uns unterhält? Kennt man zu genüge aus diversen Science Fiction-Filmen, allen voran „2001 – Odyssee im Weltraum” von Stanley Kubrick. Der dort zum Ende hin immer “böser” agierende Supercomputer hörte auf den Namen HAL – nicht von ungefähr hat Kubrick damit auf die IBM verwiesen. H kommt im Alphabet vor I, A vor B, und L vor M.
Die Gefahr, dass ein kognitives Computersystem als “böse” oder unheimlich angesehen wird, hat IBM selbst bereits erkannt – und zugegebenermaßen humorvoll darauf reagiert. Auf einer neu eingerichteten Site setzt sich IBM mit artifizieller Intelligenz und der Zukunft der Robotik auseinander. Jahrzehntelang versuchten schließlich nicht nur HAL, sondern unzählige Film-Roboter und -Cyborgs die Welt zu beherrschen und die Menschheit zu unterjochen. IBM versucht auf der Site, Watson als Gegengewicht zu platzieren, das nur das Wohl der Menschheit im Sinne hat.
Das ist für den einen oder anderen Bösewicht-Roboter natürlich ein schwerer Schlag. Zumal frühe Modelle so manchen schweren Defekt (s.o.) aufweisen. In einem der Videos der Site (s.u.) wird eine Selbsthilfegruppe in Szene gesetzt, in der die von Rost und Frust angefressenen Roboter über ihre Gefühle sprechen – wie etwa fehlende Mutterbindung. Bis Watson auftaucht.
Trotz allem Jux geht es auf der Site doch um ernsthafte Fragen: Was können kognitive, verstehende und selbstlernende Systeme wie Watson wirklich an Hilfe anbieten? Welchen Einfluss werden sie auf die Zukunft der Menschheit haben? Wie werden sie das Business tangieren?
Vom Cognitive Computing zum Cognitive Business
Vom Cognitive Computing ist es nur ein kleiner Schritt hin zum „Cognitive Business“. Dafür hat IBM mit den „IBM Cognitive Business Solutions“ eine neue Beratungsorganisation mit rund 2000 Analytics-Experten, Data Scientists sowie Industrie- und Change-Management-Spezialisten gegründet. Deren Ziel ist es, Kunden beim Umbau ihres Unternehmens in ein kognitives, also lernendes, Business zu unterstützen.
„Unsere Zusammenarbeit mit Kunden aus vielen Branchen zeigt uns, dass Cognitive Computing für viele Unternehmen der nächste logische Schritt ist, um ihr Geschäft weiterzuentwickeln“, sagt Bridget van Kralingen, verantwortlich für das IBM Beratungsgeschäft weltweit. „Denn in den Unternehmen werden zwar immer mehr Daten gesammelt und ausgewertet, aber 80 Prozent aller verfügbaren Daten - Bilder, Sprache, chemische Formeln oder Literatur - sind mit herkömmlichen IT-Systemen nicht zu erreichen. Mit unserem Cognitive Computing Ansatz schließen wir diese Lücke.“
Bis heute sind rund eine Milliarde Dollar in die Entwicklung von Watson Technologien geflossen, die mittlerweile in vielen verschieden Branchen, insbesondere im Gesundheitssektor, bei Banken und Versicherungen sowie im Handel eingesetzt werden. IBM selbst geht von folgenden Kernthesen zum Cognitive Business aus:
- Cognitive Computing wird in der Zukunft in immer mehr Bereichen Entscheidungen unterstützen. Dabei geht es bei Cognitive Computing im Wesentlichen im den schnellen und effizienten Zugriff auf Wissen, das in großen Wissensmengen verborgen ist, d.h. um die Nadel im Heuhaufen.
- Dabei wird es eigenständige Cognitive Produkte bzw. Lösungen geben und Produkte bzw. Lösungen, die um Cognitive Fähigkeiten angereichert worden sind. Hierfür bietet die IBM eigene Produkte und ein Ökosystem an.
- Für Deutschland als Industrienation ist Cognitve Computing wie folgt wichtig:
- 1. Cognitive Computing beschleunigt Forschung & Entwicklung und sollte deshalb von Unternehmen genutzt werden, um die Marktstellung erhalten bzw. zu verbessern.
- 2. Cognitive Computing erlaubt eine effizientere Kundenschnittstelle und sollte deshalb von Unternehmen genutzt werden, um die Kundenbetreuung zu optimieren.
- 3. Cognitive Computing erlaubt es, Prozesse und Produkte zu optimieren, bis hin zu neuen, datengestützten Services und Geschäftsmodellen.
In München zuhause
Ein wichtiges Einsatzgebiet von Watson ist das Internet der Dinge (IoT). Die weltweite Zentrale des Geschäftsbereichs Watson IoT findet sich übrigens seit Ende vergangenen Jahres in München. Rund 1.000 IBM Entwickler, Berater, Forscher und Designer sind dort in den Highlight Towers tätig.
Dort findet sich auch das erste europäische Watson Innovation Center. Gemeinsam mit Kunden und Partnern arbeitet man dort an einer neuen Generation vernetzter Lösungen an der Schnittstelle von Cognitive Computing und IoT. Ziel ist es, über kognitive Fähigkeiten vernetzte Geräte, Systeme und Sensoren intelligent zu machen sowie neue Marktchancen zu erschließen
Bereits verfügbare Watson-Lösungen
Die „eine“ Watson-Lösung gibt es allerdings nicht, sondern vielmehr ein Set an Lösungen. Über die „Watson Developer Cloud“ können Entwickler zudem kognitive Services in ihre eigenen Anwendungen integrieren. Einige Lösungen von Watson sind der deutschen Sprache bereits mächtig, für andere stehen sie auf der Prioritätenliste ganz oben für die Einführung noch in diesem Jahr.
Um einen ersten Überblick über die Fülle an Watson-Lösungen zu erlangen, empfiehlt sich zunächst ein Blick auf den „Watson Engagement Advisor“ - hier finden sich viele Anwendungsbeispiele vom Call Center über Produktion, Forschung & Entwicklung bis zum Einsatz als Hotel Concierge. Auch zu den anderen Watson-Lösungen finden Sie auf den IBM Seiten viele Informationen.
Hier ein paar Beispiele für aktuelle Entwicklungen und Lösungen:
- Watson könnte die Automobilbranche umkrempeln: Für das autonome Fahren werden die kognitiven Fähigkeiten von Watson unabdingbar sein, so Sebastian Wedeniwski im IBM Think Blog DACH. Aber auch für das traditionelle Fahrerlebnis eröffneten sich viele neue Möglichkeiten, Sicherheit und Komfort zu optimieren, wenn das Auto seinen Besitzer „kennt“.
- Mit Hilfe kognitiver Watson-Technologien kann die Versicherungskammer Bayern (VKB) Anliegen der Kunden schneller und präziser erkennen und bearbeiten. Das System hat in einem Pilotprojekt mit der VKB im vergangenen Jahr Deutsch gelernt und analysiert nun einzelne Sätze im Anschreiben und im Gesamtkontext. Watson wertet Aussagen aus, interpretiert sie und versteht so ein Anliegen. Anschließend sorgt es für eine Zuordnung an den jeweils richtigen Sachbearbeiter - viel schneller, als Menschen das zu leisten in der Lage wären. Das erhöht die Kundenzufriedenheit und -bindung natürlich ungemein.
- Gebäude weltweit werden immer höher. Die Herausforderung besteht darin, Zehntausende Menschen in Sekunden vertikal zu bewegen. Je höher, desto problematischer gestaltet sich das „Fahrstuhlproblem“. Es ist in der Mathematik längst bekannt und hinreichend thematisiert worden. Kone, finnischer Hersteller von Aufzügen, begegnet diesem Problem mit dem Einsatz kognitiver Technologien. Auf der „Watson IoT Cloud Platform“ werden Daten von Sensoren und Systemen gesammelt, die an Aufzüge, Rolltreppen sowie Automatiktüren und Zugangskontrollsysteme gekoppelt sind. So soll das Fahrstuhlproblem unter Berücksichtigung geltender Datenschutzrichtlinien jeden Tag, jede Stunde und jede Minute aufs Neue gelöst werden.
- Überhaupt macht mit kognitiven Technologien „Big Data“ erst Sinn: Watson erlaubt es, große und unstrukturierte Datenmengen sehr schnell zu lesen und auszuwerten, sie auf bestimmte Muster hin zu überprüfen und Hypothesen zu erstellen. Generell ist die große Stärke von Watson der intelligente Umgang mit großen Textmengen. Für die berühmten Folgen der Quizsendung „Jeopardy!“ vom Februar 2011, in dem das System haushoch gegen zwei menschliche Gegner gewann, die in der Show zuvor Rekordsummen gewonnen hatten, musste es eine Datenbasis von 13 Terabyte in sich aufnehmen. Aus dieser Perspektive kann man sagen, dass Watson ein echtes Big-Data-System ist.
- Die Berater von KPMG LLP nutzen seit diesem Jahr kognitive Watson-Technologien in ihren unterschiedlichen Geschäftsbereichen, schwerpunktmäßig im Bereich Wirtschaftsprüfung. Das Unternehmen verfolgt damit das Ziel, besser fundierte Erkenntnisse über Finanz- und Geschäftstransaktionen ihrer Kunden zu erlangen sowie neue, innovative Services anbieten zu können.
„Wirtschaftsprüfer und andere vergleichbare Dienstleister sehen sich mit wachsenden Mengen unstrukturierter Daten konfrontiert. Kognitive Systeme wie Watson verändern die Art und Weise, wie mit diesen Daten umgegangen wird und wie sie genutzt werden können, um Entscheidungen zu treffen“, so John Kelly, Senior Vice President Cognitive Solutions und IBM Research.
Wer Watson,will, muss auch Cloud sagen
Kognitive Technologien sind ohne eine Cloud-Plattform, auf der sie geliefert werden, nicht denkbar, so die IBM-Chefin Virginia Marie Rometty in ihrem diesjährigen Annual Report. Gerade für Entwickler spielt die PaaS-Umgebung „IBM Bluemix“ hier eine Schlüsselrolle. Bluemix ist die weltweit größte Cloud Foundry-Plattform und läuft auf der Cloud-Infrastruktur von „IBM Softlayer“. Sie bietet Entwicklern Cloud-basierte Dienste und APIs in einer integrierten Plattform.
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Die Anwendung ist kognitiv, die Plattform cloudy
Wohin steuert IBM?
Damit können Entwickler verschiedene Tools immer neu kombinieren, um in der Cloud Apps für mobile Geräte, das Internet der Dinge, Big-Data-Analytics-Anwendungen und Ähnliches zu bauen. Die Entwicklung für und in der Cloud birgt enorme Chancen für noch mehr Innovationen. Prognosen zufolge wird die Zahl der Cloud-Entwickler bis 2019 auf 12,5 Millionen steigen.
Außerdem ermöglicht IBM Bluemix Zugriff auf ein modulares Software-Baukastensystem, das aus IBM-Software, Open Source und Komponenten von Drittanbietern besteht und für die Entwicklung und Verwaltung von Apps notwendig ist. Der App-Store für Entwickler bietet hunderte Services von IBM und Drittanbietern, und es werden stetig mehr.
* Dr. Dietmar Müller ist freier Autor und lebt in Niederbayern.
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