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Pfade durch das Dickicht der Prozesse Was ist Process Mining?

Von M.A. Jürgen Höfling Lesedauer: 4 min |

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Auch in der IT-gesteuerten Wirtschafts- und Lebenswelt funktioniert vieles nicht wie geplant. Um Planabweichungen zu identifizieren und eine Grundlage für Verbesserungen und Optimierungen zu schaffen, gibt es viele Werkzeuge. Durch Maschinelles Lernen und andere Künstliche-Intelligenz-Techniken wandeln sich auch diese Tools.

Process Mining-Tools sollen im dichten Gewebe der Prozesse Überblick verschaffen.
Process Mining-Tools sollen im dichten Gewebe der Prozesse Überblick verschaffen.
(Bild: von Dieter G auf Pixabay)

Ob es sich um die Produktion von Maschinenteilen oder Arzneimittel handelt oder um Bestellprozesse, ob um den Kundenkontaktpunkt eines öffentlichen oder privaten Dienstleisters oder Anfragen bei einem IT-Support: Wer derartige Prozesse korrigieren oder optimieren will, muss erst einmal den Istzustand kennen. Ohne möglichst genaue Bestandsaufnahme ist jegliches steuernde Eingreifen ein „Stochern im Nebel“, das heißt bestenfalls Zeit- und Geldaufwand ohne Ertrag und schlimmstenfalls eine mittlere Katastrophe in puncto Finanzen und Reputation.

Vor dem Steuern heißt es deshalb Messen. In Prozessen, die vollständig digital abgebildet werden können, beinhaltet ein solches Messen eine genaue Prozessanalyse, für die es entsprechende programmiertechnische Werkzeuge gibt, die im Jargon „Process Mining Tools“, also Prozess-Analyse-Werkzeuge, genannt werden.

Derartige Werkzeuge filtern aus digitalen Strukturen, die in der jeweiligen Organisation vorhanden sind, wie ERP- und CRM-Systeme, Analyse-Datenbanken, Daten aus, die als wichtige Prozess-Parameter identifiziert worden sind. Das sind beispielsweise Abbruchzeiten an bestimmten Punkten, Verweildauern bei Verzweigungen, Flusszeiten für bestimmte Aufgaben.

Diese Daten werden mit Hilfe von SQL-Abfragen und einer Programmiersprache wie beispielsweise Python in ein Event-Log-Protokoll übersetzt und können dann automatisch analysiert werden. Beispiele für solche Prozess-Analyse-Produkte sind das „Execution Management System“ (EMS) von Celonis, „Aris Process Mining 10“ von Software AG, „IBM Process Mining“, „Uipath Process Mining“, „Mehrwerk Process Mining“ und „SAP Signavio“.

Das Geflecht um die Prozess-Analyse-Werkzeuge

Die bisherige Beschreibung derartiger Tools lässt erahnen, das sie zu einem Netz von Analyse-Werkzeugen gehören, die man auch unter anderen Namen kennt. Das sind zuallererst die Datenanalyse-Tools, die unter Data Mining und / oder Business Intelligence firmieren, aber auch Data Warehousing- und Business Process Management-Technologien und nicht zuletzt die automatische Prozess-Automation (Robotic Process Automation, RPA), mit der derzeit vor allem Prozesse mit geringer Komplexität vollständig automatisiert werden. Auch so genannte ETL-Systeme (ETL= Extract, Transform, Load), die aus mehreren Datenquellen eine einzige (konsolidierte) Datenbank erstellen, sind hier zu nennen.

Dass dieses Geflecht insgesamt in den Blick genommen werden muss, liegt nahe. Denn die Prozess-Analyse als „Messvorgang“ ist zwar die Voraussetzung für Korrektur- und Optimierungsprozesse, sie ist aber nur sinnvoll, wenn aus den Ergebnissen auch Folgen, sprich Prozessverbesserungen erwachsen.

Auch wenn bei der Prozess-Analyse mit Process-Mining-Tools vieles automatisiert ist, ist für die Auswahl der zu analysierenden Daten und viele Schlussfolgerungen immer noch der Mensch, der die Daten aufbereitet („Data Engineer“), notwendig. Diese Feststellung gilt zumindest in der Einführungsphase eines Process Mining-Tools.

In ein paar Jahren mag aber auch diese Phase mittels Künstlicher Intelligenz ebenfalls automatisierbar sein. Die von der Datenaufbereiter-in (oder künftig der KI) zu leistende Arbeit ist umso anspruchsvoller, je eigenwilliger die Quellsysteme ausgelegt sind. Auch nicht-standardisierte Schnittstellen machen die Arbeit nicht einfacher.

Allerdings haben kundenspezifische, maßgeschneiderte Ausgangssysteme unter Umständen einen höheren Informationsgehalt und bieten einen besseren Schutz der Datensouveränität. Letztere sollte überhaupt beim Process Mining immer im Blick bleiben. Das betrifft auch die Frage, ob man die Prozess-Analyse-Werkzeuge im eigenen Rechenzentrum beziehungsweise in einer privaten Cloud hält oder die öffentliche Cloud nutzt.

Plug-Ins in Richtung Business Intelligence

Das oben angesprochene Themen-Geflecht von Process Mining und Business Intelligence beispielsweise zeigt sich auch in den am Markt angebotenen Produkten. Immer häufiger gibt es Plug-In-Ansätze, mit denen die „überall lauernde“ Schnittstellen-Problematik abgemildert wird oder es werden sofort einsetzbare ETL-Werkzeuge von der Stange angeboten. Das alles geschieht nicht nur aus bloßer Kundenfreundlichkeit, sondern auch in der Absicht, die Kundenbindung an das jeweils eigene Produkt enger zu gestalten.

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So gibt es eine Tendenz unter den Anbietern von Prozess-Analyse-Tools, mit Business-Intelligence-Anbietern, worunter auch IT-Allrounder wie IBM und Microsoft sind, enge Kooperationen einzugehen. Beispielsweise setzt PAF (Process Analytics Factory), im vergangenen Jahr von Celonis übernommen, mit seinem Produkt „PAF now“ ganz auf Microsoft und sein BI-Produkt „Power BI“. Die technische Brücke bildet ein entsprechende Plug-in. Über diese Brücke werden vermutlich viele Anwender der großen Power-BI-Community gehen, um Prozess-Analyse zu betreiben.

Auch Mehrwerk geht diesen Weg und bietet Prozess-Analyse als Erweiterung von „Qliksense“ an, ein Process-Mining-Tool, das ebenfalls eine umfangreiche Anhängerschaft hat. Der Process Mining-Anbieter Lana Labs geht einen ähnlichen Weg, der allerdings nicht auf einen einzigen Partner angelegt ist, sondern über „offene Schnittstellen“ die Ergebnisse der Prozess-Analyse in das Armaturenbrett möglichst vieler BI-Anbieter einklinken will.

Aber es gibt auch den Weg aus der RPA-Ecke zum Process Mining. Den ist die oben erwähnte Firma Uipath gegangen, indem sie vor einigen Jahren den Prozess-Analyse-Anbieter „Processgold“ übernommen hat.

Hyper-Automation

Oben ist es schon angeklungen: angesichts der großen Fortschritte auf den Gebieten Künstliche Intelligenz im Allgemeinen und Maschinelles Lernen im Besonderen liegt es auf der Hand, nicht nur bei der Auswertung der Prozesse (also der „messtechnischen Arbeit“), sondern vor allem auch in der Steuerungsphase den technischen Schulterschluss mit den brandneuen Entwicklungen auf diesen Feldern anzustreben. Bei Gartner firmiert diese Entwicklung im Übrigen unter dem Begriff „Hyper-Automation“.

Andere Weiterentwicklungen von Process Mining gehen in Richtung prozessuale Mikrostrukturen („Task Mining“) und Cloud. Wie diese Entwicklungen mit dem Rechtsgut Datenschutz und dem geopolitischen Gut „Datenhoheit“ zu vereinen sind, bedarf wohl einiger gedanklicher und technischer Anstrengungen.

Hinweis:Dazu und zum gesamten Komplex Process Mining gibt es jedes Jahr eine hochkarätige internationale Konferenz (International Conference on Process Mining, ICPM). Die ICPM 2023 findet vom 23. bis 27. Oktober in Rom statt.

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