Ein „Nur-Cloud“-Ansatz ist nicht ratsam Cloud oder nicht Cloud – das ist hier die ERP-Frage
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Unternehmen müssen sich schnell an Marktgegebenheiten anpassen können. Schwerfällige On-Premise-Backend-Systeme sind hier oft Hindernisse. Cloud-Enterprise-Resource-Planning-Systeme (Cloud-ERP) hingegen versprechen Leichtigkeit und Flexibilität. Doch können ERP-Systeme aus der Cloud diese Versprechen einlösen?

Laut Studien werden Cloud-Lösungen – nicht nur für das ERP – am Markt zunehmend akzeptiert. Ob als Infrastructure-as-a-Service, Platform-as-a-Service oder Software-as-a-Service: Die Cloud ist eines der größten IT-Wachstumsfelder. Die zunehmende Akzeptanz haben auch Software-Hersteller erkannt. Die großen ERP-Anbieter wie SAP, Oracle oder Microsoft haben hier bereits kräftig investiert und tun es noch immer. Mit ihren Cloud-ERP-Systemen wollen sie nicht nur eine Alternative zum On-Premise-Angebot schaffen. Sie setzen auch strategisch auf die Cloud im ERP-Kontext. Eine Entwicklung, die die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe über alle Anbieter hinweg beobachtet.
Ein Wechsel ist kostspielig
Ob fundamentale Veränderungen des Geschäftsmodells durch die zunehmende Digitalisierung, Expansionen, Fusionen oder Akquisitionen: Die Gründe, aus denen ein ERP-System gewechselt wird, sind vielfältig – in der Regel geschieht dies jedoch nicht leichtfertig. Solche Projekte sind meist mit hohen Investitionen und Risiken verbunden. Im Fall von SAP sorgt die Wartungszusage der Business Suite 7, also für das aktuelle ERP 6.0, bis 2027 bzw. mit einer optionalen Wartungsverlängerung bis 2030 dafür, dass die Unternehmen ihre IT- und ERP-Strategie überdenken müssen.
Und hier kommt die alles entscheidende Frage: Cloud oder nicht Cloud? Wenn Unternehmen ohnehin von der Business Suite auf S/4HANA wechseln, haben sie die Wahl: Entweder sie betreiben S/4HANA On-Premise oder nutzen sie als Software-as-a-Service-Lösung in der Cloud. Das ist aber eine Entscheidung, die wohl überlegt sein will.
Chancen von Cloud-ERP-Lösungen
Damit Unternehmen die ERP-Entscheidung bewusst treffen können, sollten sie sich über Chancen und Herausforderungen informieren. Fakt ist, dass die IT-Infrastruktur heute in vielen Fällen für Unternehmen kein Differenzierungsfaktor mehr ist. Dementsprechend gelegen kann es kommen, wenn sich Unternehmen durch eine Cloud-ERP-Software nicht mehr mit infrastrukturellen Themen oder Betriebsfragen auseinandersetzen müssen. Über Anschaffung, Modernisierung, Betreuung und z. B. die Wiederherstellung im Notfall müssen sie sich bei einer Cloud-Lösung keine Gedanken machen. Hier ist der Anbieter am Zug.
Weitere Chancen bieten Cloud-ERP durch tendenziell geringere Komplexität und indem sie den sicheren Zugriff auf die Software und Daten auch außerhalb des Unternehmens vereinfachen. Insbesondere in der aktuellen COVID19-Krise ist das ein Pluspunkt, wenn Mitarbeiter verstärkt mobil arbeiten. Zudem entstehen Innovationen insbesondere bei SAP zuerst in der Cloud, die zeitversetzt als „Downport“ im On-Premise-Portfolio angeboten werden. Insgesamt bieten Cloud-ERP einen deutlich einfacheren Zugang zu Technologieinnovationen wie Machine-Learning in Backoffice-Prozessen.
Darüber hinaus sind Public-Cloud-Lösungen hinsichtlich ihres Release-Stands immer aktuell, da Upgrades anbieterseitig forciert werden. Auch finanziell kann ein Cloud-Mietmodell reizvoll, wenn auch nicht zwangsläufig günstiger, sein. Je nach Vertragsgestaltung erlaubt es einfaches Wachstum und „atmet“ sogar im besten Fall. Insbesondere ein Two-Tier-ERP-Ansatz ermöglicht ein einfaches Onboarding neuer Standorte auf die Cloud, also wenn eine zentrale On-Premise-Instanz zum Beispiel für die Konzernzentrale und Produktionsstandorte sowie Cloud-Instanzen für dezentrale Niederlassungen eingesetzt werden.
Funktionale und legale Herausforderungen
Funktional betrachtet, haben Cloud-Lösungen jedoch mitunter gegenüber gewachsenen On-Premise-Lösungen noch funktionale Einschränkungen. Ein Beispiel ist hier die Cloud-Reisekostenmanagement-Lösung Concur von SAP. Ihr fehlen aus Sicht der Öffentlichen Verwaltung zurzeit noch branchenspezifische Funktionalitäten, um das Bundes-Reisekostengesetz, die Länder-Reisekostengesetze und das Trennungsgeld umzusetzen. Verglichen mit einer On-Premise-Lösung sind bei einer Public-Cloud-Lösung im SAP-Kontext die Erweiterungsmöglichkeiten der Cloud-ERP-Lösung insgesamt noch begrenzt.
Größere Erweiterungen müssen über ein Platform-as-a-Service-Angebot side-by-side vorgenommen werden. Die Folge: Weitere Abhängigkeiten und mehr Komplexität durch die verteilte Anwendung. Abhängig machen sich Unternehmen auch von der Internetanbindung. Damit Mitarbeiter von jedem beliebigen Ort auf die ERP-Daten zugreifen können, wird ein funktionierender Internetzugriff vorausgesetzt. Da der Anbieter bei einem Cloud-ERP vorgibt, wann und wie oft Release-Wechsel durchgeführt werden, entstehen zusätzliche Abhängigkeiten. Gleichzeitig wird die Verantwortung für den Betrieb an den Software-Anbieter abgegeben. Diese Umstellung ist für viele Unternehmen oft gewöhnungsbedürftig.
Weitere Hemmschuhe auf dem Weg ins Cloud-ERP sind gesetzlicher Natur. Legale Rahmenbedingungen erschweren und verbieten teils sogar den Einsatz eines Cloud-ERP. Dies ist beispielsweise in der Öffentlichen Verwaltung, der Verteidigungsindustrie oder im Gesundheitswesen der Fall. Vor diesem Hintergrund haben die DSAG-Mitglieder der Öffentlichen Verwaltung, die insbesondere der Public Cloud kritisch gegenüberstehen, ein Positionspapier veröffentlicht. Darin thematisieren sie u.a. ihre Bedenken hinsichtlich Compliance, Datenschutz und Security. In ERP-Systemen werden zum Teil sehr vertrauliche Daten zu Finanzen, Kunden und Mitarbeitern oder Rezepturen gespeichert, weshalb Datenschutz und Sicherheit hier besonders wichtig sind.
Zusätzlich zu allen technologischen, funktionalen und legalen Herausforderungen müssen die Service-Level-Agreements zur Unternehmenssituation passen. Je nach Unternehmen muss die Hochverfügbarkeit und bei Upgrades eine (Near)-Zero-Downtime gewährleistet sein. Eine weitere Herausforderung ergibt sich dadurch, dass ERP-Systeme häufig hochintegriert mit anderen Systemen agieren, teilweise fast in Echtzeit, zum Beispiel in der Produktionssteuerung. Solange viele der mit dem ERP-System zu integrierenden Lösungen und das ERP selbst im eigenen Rechenzentrum betrieben werden, ist dies in der Regel problemlos möglich. Doch gerade in hybriden oder verteilten Systemlandschaften ist es extrem wichtig, dass sich das Cloud-Portfolio ohne großen Aufwand integrieren lässt. Andernfalls werden die Vorteile der Cloud durch komplexe Schnittstellen wieder zunichte gemacht.
Cloud-first ja, Cloud-only nein
Abschließend lässt sich somit festhalten: Beim Einsatz von Cloud-ERP werden zusätzliche Abhängigkeiten vom Cloud-Provider bzw. Software-Anbieter geschaffen. Daher sollten Unternehmen sich dessen langfristige Strategie genau ansehen und entscheiden, ob sie dem Anbieter ihr Vertrauen schenken. Insgesamt haben sowohl On-Premise- als auch Cloud-ERP ihre Berechtigung. Welche Variante eingesetzt werden sollte, hängt von der jeweiligen Unternehmenssituation ab.
Eine ERP-Strategie sollte niemals losgelöst von einer übergreifenden Digital- und IT-Strategie sowie den Business- und Kundenanforderungen entwickelt werden.
Aus Sicht der DSAG ist ein Cloud-ERP vor allem eine gute Wahl für wachsende Unternehmen, die erstmals ein ERP einführen, und für Unternehmen, die hochgradig standardisierte Prozesse einsetzen möchten. Die Erfahrung der Interessenvertretung zeigt, dass komplexe Konzerne zum jetzigen Zeitpunkt eher einen Two-Tier-ERP-Ansatz oder ein On-Premise-ERP vorziehen. Perspektivisch kann sich dies jedoch ändern. Der Industrieverband unterstützt daher den Cloud-first-Ansatz von SAP, hält zum jetzigen Zeitpunkt einen Cloud-only-Ansatz allerdings für nicht realisierbar.
* Der Autor Steffen Pietsch ist Technologievorstand Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e.V.
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