HPC-Technik made in Europe Auf dem Weg zu europäischen Hochleistungs-Chips
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Europa hängt am US-asiatischen Tropf, was grundlegende Computing-Hardware angeht. Das soll sich mit der Zeit durch einige in Europa angesiedelte und initiierte Startups wie Sipearl oder Tachyum ändern.

Prozessordesigns kommen meist aus den USA, gefertigt werden sie vor allem in Asien. Das ist den Europäern schon lange ein Dorn im Auge. Angesichts sich zuspitzender Handelskonflikte, der wachsenden Konkurrenz mit China und wackeliger Lieferketten soll sich an dieser Situation dringender denn je etwas ändern.
Motoren der Veränderung sind mehrere Initiativen: zunächst 'EPI' (European Processor Initiative) und 'EuroHPC JU' (European High Performance Computing Joint Undertaking).
- Ersteres Vorhaben gehört zu den europäischen Innovationsprojekten im Rahmen von 'Horizon2020'. Finanziert wird EPI vom EuroHPC JU, das ebenfalls zu den Horizon2020-Projekten gehört. Dazu kommt Geld aus Kroatien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Portugal, Spanien, Schweden und der Schweiz.
- EPI soll zur Entwicklung europäischer, weltweit wettbewerbsfähiger Supercomputing-Technologien beitragen und Schlüsselkomponenten innerhalb der EU entwickeln.
Supercomputing aus EU-Kochtöpfen
Die EU will so eine eigene, weltweit wettbewerbsfähige Supercomputing-Infrastruktur aufbauen. Entstehen sollen europäische Mikroprozessoren und Beschleuniger mit höchster Leistung bei geringstem Stromverbrauch für die aktuell und zukünftigen HPC- und Big-Data-Märkte.
Dazu kommt die von der Industrie mit Personal bestückte HPC-Denkfabrik 'European Technology Platform for High Performance Computing (ETP4HPC) '. Auf der umfangreichen Mitgliederliste stehen vor allem einschlägige Forschungseinrichtungen und innovative IT-Firmen, aber auch Anwender wie Airbus. ETP4HPC erarbeitet eine regelmäßig aktualisierte Forschungsagenda, die derzeit in Version 5 vorliegt.
Ein weiterer Akteur im Rahmen der europäischen Bestrebungen nach mehr eigener Computing-Power ist die 'Partnership for Advanced Computing in Europe (PRACE). Es handelt sich um ein Forschungs- und wissenschaftliches Engineering-Netz, an dem viele europäische Länder teilnehmen. Ziel ist es, eine europaweite Supercomputing-Infrastruktur aufzubauen.
Der Prozessor kommt von Sipearl
Die Entwicklung des geplanten Prozessors für den Aufbau eines europäischen Supercomputers übernimmt Sipearl. Die Firma wurde 2019 gegründet und ist mittlerweile in Frankreich, Deutschland und Spanien präsent. Derzeit beschäftigt sie rund 110 Mitarbeiter, schon Ende 2025 sollen es 1.000 hochqualifizierte Tech-Spezialisten sein.
Geschäftsführer Philippe Notton ist trotz der leergefegten Arbeitsmärkte überzeugt, dass die Attraktivität des Projekts ausreichend viele Fachleute anziehen wird. „Wir erleben, dass ursprünglich deutsche oder europäische Ingenieure, die in die USA abgewandert sind, jetzt angesichts der neuen Arbeitsmöglichkeiten, zurückkommen“, berichtet er.
Paneuropäische Entwicklerteams
Sipearl ist sehr flexibel beim Aufbau seiner Workforce: Die Niederlassung in Düsseldorf entstand, als ein großer Hardwarehersteller seinen dortigen Standort verkaufte. Eine ganze Gruppe von 20 hochqualifizierten Entwicklern ließ sich von Notton anwerben. Sie ist jetzt für wichtige Teile des Hardwaredesigns, unter anderem die Steuerblöcke des geplanten Prozessors, zuständig.
Eine weitere wichtige Entwicklergruppe sitzt in Grenoble, einer der drei französischen Sipearl-Niederlassungen. Die Stadt in den Alpen kann man als französisches Silicon Valley betrachten. Im spanischen Barcelona arbeitet ein Entwicklungsteam am Backend des Systems, dem Packaging.
Design-Basis: ARM
Design-Basis ist die ARM-V1-Lizenz. „Beim Entwickeln erleben wir immer wieder Überraschungen“, berichtet Frank Gorris, der die Düsseldorfer Gruppe leitet. Man müsse stets den gesamten Chip im Auge haben. Das führe zu häufigen Anpassungen, etwa, wenn einzelne Blöcke größer ausfielen als vermutet.
Details hinsichtlich des patentreichen Prozessordesigns kann CEO Notton noch nicht verraten – irgendwann später dieses Jahr soll es aber so weit sein. Immerhin erklärt er, dass der Prozessor mehr als 60 Milliarden Transistoren umfassen wird.
Der Chip integriert sowohl die aktuelle Version der schnellen interne Speicherzugriffstechnik DDR (Double Data Rate) als auch für den externen Speicherzugriffstechnik HBM (High Bandwidth Memory). Notton: „Darin sind wir bislang einmalig.“
Durchsatz im Terabyte-Bereich
Viermal 16 Ggigabyte (GB) interner Speicher sind vorgesehen. Der Gesamtdurchsatz bewegt sich damit im TB/s-Bereich. Externer Massenspeicher wird an Rhea über PCIe Gen 5 angebunden. Unterstützt wird auch CXL 2.0 (Compute Express Link). Letzteres ist ein offener Standard für die Hochleistungs-Kommunikation zwischen CPU, Memory und angebundenen Devices.
Der „Rhea“-Prozessor von Sipearl wird „ARM-Neoverse-V.1“-Cores sowie RISC-V-Prozessoren und Mikrocontroller für Embedded Computing und Beschleunigung integrieren. Wie viele genau, wird später bekannt gegeben.
Fertigung in 6-nm-Technik
Getreu der EPI-Roadmap geht es Ende 2022 voraussichtlich in die Fertigung in 6-Nanometer-Technik. „Die einzigen Anlagen mit 6-nm-Prozessen betreiben derzeit TSMC und Samsung. Wir arbeiten mit TSMC in Taiwan“, berichtet Notton.
Es werde noch einige Jahre dauern und sehr viel Geld verschlingen, bis Europa – falls das überhaupt angestrebt wird – bei der Fertigung von Hochleistungs-Prozessoren autonom werden könne. Notton: „Derzeit geht es uns vor allem um die Design-Fähigkeiten.“ Immerhin gebe es nach dem Kauf von Mentor durch Siemens schon eine europäische Software für die Prozessorentwicklung.
Passend zur Energiekrise: Stromspar-HPC angestrebt
Eines der wichtigsten Merkmale der entstehenden Plattform wird der vergleichsweise sehr geringe Stromverbrauch sein. Die Prozessoren werden direkt flüssig gekühlt.
Aus dieser Plattform wird dann ein Supercomputer mit ExaFlops-Leistungen gebaut. Er wird, läuft alles wie besprochen, nach Fertigstellung des Prozessors von EuroHPC und EPI bestellt.
Europäische ExaFlops-Initiativen
Der erste europäische Exaflops-Rechner soll schon bald im Forschungszentrum Jülich entstehen. Ein Exaflop-Pilotprojekt gab kürzlich auch Grand équipement national de calcul intensif (GENCI) bekannt.
Es basiert auf dem „A64FX“-Prozessor von Fujitsu und dem „Atos BXI“-Interconnect. Beide erweitern den „Joliot-Curie“-Supercomputer und wurden von Genci dem EUPEX-Konsortium zugänglich gemacht. EUPEX will damit den Prototypen der „Open-Sequana“-CPU sowie Blades mit Rhea-CPUs und GPUs entwickeln.
Optical Computing geplant
Sipearl hat zahlreiche wichtige Kooperationen. Die wichtigsten sind die mit dem KI-Prozessorhersteller Graphcore, mit Intel und Nvidia. So soll Rhea mit der Intels-GPU „Ponte Vecchio“ kombiniert werden.
Sipearl konzentriert sich ausschließlich auf die Entwicklung eines allgemein einsetzbaren Prozessors. Auf der Roadmap stehen für spätere Rhea-Versionen beispielsweise direkte optische Connectivity auf dem Chip. Hierzu arbeitet Sipearl laut Notton mit einem Startup in Grenoble zusammen.
Tachyum: Ein Superchip aus Tschechien
Einen anderen Weg geht das slowakisch-amerikanische Startup Tachyum. Der Gründer und CEO Radoslav Danilak hat Erfahrungen bei Nvidia gesammelt, ehe er seine Firma in Bratislava und in Santa Clara aufbaute.
Das Design, das Danilak baut, soll Beschleuniger teilweise überflüssig machen. Die Architektur, so wird angestrebt, soll alle Kernaufgaben der heutigen Hochleistungs-Chips, nämlich die von Zentraleinheit, Grafikbeschleuniger und Tensor-Verarbeitung, in sich vereinigen.
Hardware gibt es noch nicht. Doch immerhin hat es Tachyum bis zu einer Emulation geschafft, auf der auch schon Software getestet werden kann. Darunter versteht man den Nachbau der Funktionen des geplanten Prozessors mit handelsüblichen programmierbaren Logikchips.
Fertigungsbeginn bei Tachyum: Ende 2023
„Prodigy T16128“ soll es Ende 2023 in Hardware geben, so nicht Nebenfolgen der derzeitigen kriegerischen Konflikte die ehrgeizigen Pläne durchkreuzen. Der Chip soll in 5 nm-Technik gefertigt werden. 128 Prozessorknoten, 16 DDR-5-Lanes und 128 64-Bit-Kerne sind vorgesehen.
Tachyum verspricht ein Drittel der üblichen MIPS-Kosten, auf ein Viertel reduzierte Datacenter-TCO und einen Strombedarf von einem Zehntel, vergleicht man mit dem schnellsten „Xeon“-Varianten. Langfristig soll der Prozessor mit noch kleineren Strukturbreiten arbeiten und so leistungsfähig werden wie das menschliche Hirn.
Auch Danilaks Unternehmen wird von der EU gefördert, allerdings im Rahmen der EU-Initiative Important Project of Common European Interest. Die Beispiele zeigen: Das Wettrennen um neue europäische Computing-Fähigkeiten nimmt endlich Fahrt auf.
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