20. Jahreskongress der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe Anwender zweifeln an SAPs Digitalisierungsstrategie

Autor / Redakteur: Michael Matzer / Elke Witmer-Goßner |

Bei Digitalisierungsprojekten verzeichnet SAP erste Erfolge – endlich. Das entsprach dem diesjährigen Motto „Und Action! Digitalisierung konsequent machen“ des 20. Jahreskongress der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG). Kritik übten die Fachvorstände vor 5.500 Besuchern an zahlreichen Aspekten der SAP-Produktplanung. SAP gelobte Besserung.

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Über dem Eingang der Messe Nürnberg wehte die Flagge der DSAG.
Über dem Eingang der Messe Nürnberg wehte die Flagge der DSAG.
(Bild: © DSAG)

Die Umfragen, die die DSAG unter ihren Mitgliedern zum Stand der Digitalisierung machte, weisen bereits darauf hin, wo es bei der SAP-Plattform noch überall Handlungsbedarf gibt. Demnach „hinkt der Status der digitalen Transformation in den Mitgliederunternehmen den Vorjahreserwartungen hinterher“. Teils zählen organisatorische Herausforderungen zu den Hürden, aber überraschenderweise auch „spezifische Ursachen seitens der SAP-Lösungen“.

Die DSAG schreibt den SAP-Vorständen ins Stammbuch, dass „Aufgaben hinsichtlich der Integration von Systemen, kompatiblen Datenmodellen von Anwendungen sowie flexiblen und skalierbaren Lizenzmodellen“ bestünden. Da die Digitalisierung als Differenzierungsfaktor angesehen wird, ist sie für die deutsche Wirtschaft von zentraler Bedeutung, sagten mehrere Fachvorstände der DSAG.

Effizienzsteigerung und neue Geschäftsmodelle werden damit erzielt. Positives Umfrageergebnis: In 41 Prozent der DSAG-Unternehmen gibt es fertiggestellte oder in Umsetzung befindliche Effizienz-Projekte. Doch bei 42 Prozent fehlt es an Ressourcen (Personal, Finanzen) und bei 38 Prozent ist die Unternehmenskultur noch „ausbaufähig“, sprich: mangelndes Change Management.

Fehlendes Vertrauen in SAP-Strategie

Marco Lenck, der Vorstandsvorsitzende der DSAG, begrüßte 5.500 registrierte Besucher.
Marco Lenck, der Vorstandsvorsitzende der DSAG, begrüßte 5.500 registrierte Besucher.
(Bild: © DSAG)

Lediglich ein Viertel der befragten DSAG-Mitglieder fühlt sich über die SAP-Strategie und Roadmap gut informiert, 45 Prozent vertrauen dieser Strategie teilweise, doch 30 Prozent weniger oder überhaupt nicht.

Im Lösungsportfolio gibt es konkrete Aufgaben, wie oben erwähnt. „Da Unternehmen verstärkt auf hybride Landschaften in der Digitalisierung setzen, ist SAP aufgefordert, deren Auf- und Ausbau sowie ihren Betrieb inklusive Lizenzmodellen so einfach, attraktiv und flexibel wie möglich zu gestalten; ansonsten geraten Projekte weiter ins Stocken“, mahnte der DSAG-Vorstandsvorsitzende Marco Lenck. So müssten dringend etwa die Datenmodelle der Stammdaten der verschiedenen, von SAP angekauften Produkte harmonisiert werden.

Furchterregende Fristen

Die DSAG-Mitglieder mahnen SAP zur Eile, denn nicht nur in Sachen Digitalisierung sind andere Volkswirtschaften viel weiter. Zudem ist bekannt, dass konkurrierende ERP-Anbieter keine Probleme mit Integration und Multiplattformfähigkeit haben. Auch hinsichtlich der Multi-Cloud-Fähigkeit liegt SAP noch zurück, obwohl SAP sowohl die eigene „SAP Cloud Platform“ (SCP) als auch „Microsoft Azure“ und „Amazon Web Services“ (AWS) unterstützt.

SAP-Vorstand und -COO Christian Klein äußerte: „Wir arbeiten daran.“ Einen Multi-Cloud-Manager wie den von IBM muss die SAP aber offenbar erst noch entwickeln. Auch an der technischen Plattform „Netweaver“ nagt der Zahn der Zeit: Für Netweaver für Java naht das Wartungsende im Jahr 2024, für die „ABAP“-Version ein Jahr später, obwohl beide für den Betrieb der „Business Suite“ (in „R3) unerlässlich sind.

Die Zeit drängt – buchstäblich. Support und Wartung für R/3 gewährt SAP noch bis zum Jahr 2025, dann sollten alle Kunden von R/3 („ECC“ und Business Suite) auf „S/4Hana“ umgestiegen sein. Das bedeutet auch den Umstieg von der aktuellen HCM-Software (HCM: Human Capital Management) auf die Cloud-basierte Anwendung „Success Factors“, bei Reiseverwaltung auf „Concur“ und beim B2B-Handel auf „Ariba“.

Längst nicht alle wollen Cloud

Alles soll in die Cloud, damit das „Intelligent Enterprise“ mit Echtzeitsteuerung und KI arbeiten kann. Das soll eine Effizienzsteigerung von 10 bis 30 Prozent bringen, versprach Klein. Soweit die Theorie.

Doch die Basis dafür, nämlich S/4HANA, ist bislang nur von 8 Prozent der DSAG-Mitglieder eingeführt worden, nämlich, wie Klein angab, von vier Fünftel der DAX- und drei Viertel der MDAX-Unternehmen. Aber dieser Einführungsgrad ist sehr niedrig. Daher werden, wie Fachvorstand Digitalisierung, Finance und Value Chain Ralf Peters sagte, bis 2025 „niemals alle ECCs auf S/4HANA migriert worden“ sein.

Vielmehr tritt der gegenteilige Effekt ein: ein Festhalten an den vorhandenen On-premise-Installationen. Die Kunden gehen auf Nummer sicher.

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Das ist auch im Personalwesen und in der öffentlichen Verwaltung der Fall. Zwar akzeptiert die DSAG den Wunsch der strategischen Ausrichtung von SAP in Richtung der Cloud-Lösung Success Factors. Doch aktuell ist die Lösung noch nicht für alle Branchen eine Alternative zur bewährten On-Premise-Lösung.

„Zudem ist die Auslieferungsquote von Verbesserungen für SuccessFactors, die über die SAP-Einflussnahme-Programme erreicht wurden, noch nicht ausreichend“, berichtete Hermann-Josef Haag, DSAG-Fachvorstand Personalwesen & Public Sector. Dementsprechend ist es besonders für die SAP-Kunden, die im zeitlichen Umfeld des Jahres 2025 noch nicht zu SuccessFactors wechseln wollen oder können, ein großer Erfolg, dass sie jetzt ab 2022 die Lösung für das Personalwesen SAP Human Capital Management (SAP HCM) auch integriert in S/4HANA betreiben können – und zwar On-premise.

Lizenzmodelle für die digitale Welt

Digitale Angebote werden in aller Regel aus verschiedenen Produkten zusammengestellt, die auf unterschiedlichen Plattformen laufen. Damit die SAP-Kunden nicht ihre teuer bezahlten Lizenzen verlieren, wenn sie „indirekte Nutzung“ von Drittanbieterlösungen auf ihrer SAP-Plattform umsetzen, hat die DSAG mit dem Hersteller zwei Lizenzmodelle ausgetüftelt.

Das erste Lizenzmodell wurde bereits im Mai veröffentlicht. Das dokumentenbasierte Preismodell innerhalb des „Digital Access Adoption Program“ (DAAP) regelt die Nutzung von Drittlösungen und soll nur Dokumente bepreisen, wie etwa Bestellungen oder Rechnungen, die für den Kunden auch wertschöpfend sind.

„Beim 'Digital Access' erfolgt die Abrechnung nicht zeit-, sondern objektbasiert“, erläutert Ralf Peters, Fachvorstand Digitalisierung, Finance & Value Chain: „Die Objekte, die dabei definiert sind und die Dokumente ausmachen, sprich: eine Verkaufsorder und Einkaufsorder zum Beispiel, solche Objekte beziehungsweise Dokumente werden gezählt.“

Das Modell bietet zwei Optionen an. Bei der ersten Möglichkeit wird die Vertragshistorie ignoriert und der Kunde bekommt kostenneutral die notwendigen Dokumente. Fakt ist aber auch, dass der Kunde einen 15-prozentigen Zuwachs an neu hinzukommenden Dokumenten erwerben muss, also vorab ein gewisses, zukünftiges Wachstum lizenziert. Eine zweite Option gibt dem Kunden die Möglichkeit, einen Rabatt von 90 Prozent auf die gesamte Anzahl der abrechnungsrelevanten Dokumente zu erhalten.

Das zweite Lizenzmodell trägt den schönen neudeutschen Titel „Like4Like“. Ralf Peters erläutert: „Wenn Sie eine Funktion in R/3 haben, bedeutet diese Option, dass Sie bei der Migration nach S/4 nicht wieder kaufen müssen, was Sie schon in R/3 lizenziert hatten, sondern Sie bekommen es in S/4 wieder - und zwar auch dann, wenn sich das Produkt geändert hat.“

Dazu ein Beispiel: Wenn man bislang Warehouse Management in R/3 verwendet haben, und das WM dann in S/4, wo es zur Basis-Funktionalität gehört, verwenden will, ist keine zusätzliche Lizenz fällig. Feine Sache, zumindest in der Theorie. In seinem Vortrag mahnt Peters an, dass Aufklärung über diese beiden Lizenzmodelle Not tue.

Erfolgreiche Projekte

Der Walldorfer Softwerker konnte jüngst auch Erfolge in Sachen Digitalisierung vorweisen. Das Systemhaus CBS hat für die Viessmann Group, einem der weltweit führenden Hersteller von Energiesystemen (2,5 Mrd. Euro Umsatz), den Umstieg auf eine komplett neue digitale Zukunftsplattform auf Basis von SAP S/4HANA realisiert. Bei dem Go-Live wurden insgesamt 28 Produktionseinheiten in 34 Ländern sowie weltweit 78 Vertriebsorganisationen auf SAP S/4HANA migriert.

Mehr als 6.000 User waren von der weltweiten Umstellung betroffen. Das anspruchsvolle Greenfield-Projekt ist nach Angaben von Rainer Wittwen, Mitglied der Geschäftsleitung beim Systemhaus CBS, die bislang größte S/4HANA-Transformation in der produzierenden Industrie weltweit: „Dabei hat Viessmann auch Innovationen wie Integrated Business Planning (IBP) und MRP live (Material Resource Planning) realisiert.“ Insgesamt 190 Buchungskreise und 30 Milliarden Datensätze galt es zu transferieren.

Und jetzt? „Alle Prozesse in S/4 laufen rund“, berichtete Harald Dörnbach, Geschäftsführer bei Viessmann IT Service dem DSAG-Kongresspublikum. „Wir haben noch nie einen so reibungslosen Go-Live erlebt. Produktion, Versand, Lager – sämtliche Bereiche liefen unter Volllast ohne Unterbrechung weiter. Jetzt verfügen wir über unternehmensweit integrierte digitale Geschäftsprozesse. Unsere Zukunftsplattform 2025 steht.” Und Rainer Wittwen prophezeit: „Künftige S/4-Migrationen werden sich an diesem Migrationsprojekt orientieren.“

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