Interview mit Georg Gesek und Markus Pflitsch vom Quantencomputing-Pionier QMware 2022 folgen mehr Datacenter für die hybride Quantencomputing-Cloud, auch in Deutschland
Mit einem innovativen Ansatz, der in der engen Verbindung von klassischen Hochleistungsrechnern und virtualisierten Quantenprozessoren in einem gemeinsamen Software-Stapel besteht, will QMware neue Impulse für ein Quantencomputing setzen, das hier und heute produktiv einsatzfähig ist. QMware ist ein Joint-Venture des HPC-Spezialisten Novarion mit Zentrale in Wien und der Quanten-Algorithmen-Cracks von Terra Quantum mit Zentrale in der Schweiz.
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Anlässlich der Eröffnung des ersten Full-Stack-globalen Quantencomputing-Rechenzentrums in Wien hat Autor Jürgen Höfling für DataCenter-Insider mit Georg Gesek und Markus Pflitsch, den unternehmerischen Motoren der beiden kooperierenden Firmen, gesprochen.
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„Full-Stack-Quantum-Cloud“ mit offenen Standards
Hybrides Quantencomputing-Rechenzentrum in Wien eröffnet
Mit Ihrem Gemeinschaftsunternehmen QMware und dem vor Kurzem eröffneten Hybriden Quantum Cloud Datacenter in Wien wollen Sie einen hybriden Ansatz innerhalb des Hochleistungsrechnens inklusive Quantencomputing etablieren, der gleichzeitig innovativ und sofort kommerziell einsetzbar ist. Können Sie Ihren Ansatz genauer beschreiben?
Georg Gesek: Die beiden zentralen Elemente unseres Ansatzes bei QMware sind zum einen Prozessor-Virtualisierung und zum anderen speicherzentriertes Computing. Letzteres heißt, dass allen Prozessoren auf kurzem Wege ein sehr großer Hauptspeicherbereich zur Verfügung steht.
Was bedeutet Prozessor-Virtualisierung?
Markus Pflitsch: Virtualisiert heißt in dem Fall, dass wir Qubits über klassische High Performance Computer darstellen und berechnen. Der virtualisierte Quantenchip ist fehlerfrei und kann, verglichen mit heutigen physischen Quantenchips, die nicht fehlerfrei sind, viel komplexere Aufgaben lösen.
Dazu integrieren wir aber auch physische Quantenchips, denn mit der Zeit werden diese leistungsfähiger und nutzbarer. Hier, um das kurz anzumerken, arbeiten wir auch an unserer eigenen Hardware. Aber das ist nur der eine Teil der Geschichte.
Der andere Teil besteht darin, dass wir eine hybride Architektur aus klassischen Prozessoren - CPUs, GPUs, KI-Spezialprozessoren und so weiter) und virtualisierten Quantenprozessoren gebaut haben, mit der klassische Algorithmen und Quantenalgorithmen gleichzeitig verarbeitet werden können. Uns geht es darum, heute bereits das Beste aus klassischer und Quantenwelt zu kombinieren.
Georg Gesek: .Geplant ist auch die Integration nativer Quantenschaltkreise oder auch von neuromorphen Schaltkreisen, also speziellen KI-Prozessoren für die Berechnung neuronaler Netze.
…..ohne dass die Software geändert werden muss?
Markus Pflitsch: Die Software ist weiter ausführbar. Änderungen an der zugrunde liegenden Hardware fangen wir in einer Softwareschicht, unter anderem mit unseren Librarys, ab. Wir haben bei Terra Quantum um die hundert Quantenphysiker, Mathematiker und Informatiker, die sich mit hybriden Quantenalgorithmen beschäftigen, das ist ein einzigartiger Aktivposten für industrietaugliche Services im Bereich des hybriden Hochleistungsrechnens.
Welche Leistungsstärke bietet QMware im Moment beim Quantencomputing? Im nativen Quantencomputing-Bereich sind derzeit wohl 127 Qubits die Bestmarke.
Georg Gesek: Bei uns stehen derzeit 40 virtualisierte Qubits zur Verfügung, die anders als native Qubits keine Fehlerkorrektur-Mechanismen benötigen. Virtualisiert wird mithilfe von Containertechnik. Die virtualisierten Qubits erreichen bei uns in ihrer Gesamtheit ein sehr hohes Quantenvolumen, höher als die nativen Qubits im Markt. Das Rauschen bei Letzteren kostet halt immens viel Leistung. Dazu kommt, dass wir unsere Qubits parallelisieren können.
Richten wir den Blick einmal auf praxisrelevante Anwendungen. Welche Leistungssteigerungen sind mit QMware drin, und wie viel in welchen Bereichen?
Markus Pflitsch: Mit unserem hybriden System lassen sich bei Use Cases aus dem Bereich Maschinelles Lernen Beschleunigungen um ein Vielfaches der bisher üblichen Performance erreichen, genauso wie bei zeitkritischen Optimierungsaufgaben.
Können Sie ein konkretes Beispiel geben?
Markus Pflitsch: Gerne. Wir haben im Bereich Finanzdienstleistungen beispielsweise einen Optimierungsalgorithmus namens „Collateral Portfolio-Optimierung“. Solch ein Collateral Portfolio ist bis zu 1 Billon Dollar groß. Diese Bilanzpositionen müssen bei den Investmentbanken hinsichtlich zu unterlegender Sicherheiten und Liquiditätsbedarf optimiert werden. Diese komplexe Optimierungsmechanik haben wir mit unserem Quantenalgorithmus abgebildet und mit diesem das Portfolio optimiert.
Das Ganze ist ein hochkomplexer Rechenprozess, in den viele Parameter eingehen – individuelle Sicherheitsabschläge, die Entwicklung verschiedener Währungen, regulatorische Vorgaben und vieles mehr. Wir konnten mit unserem System gegenüber dem existierenden System ein Einsparpotenzial von 120 Millionen Dollar pro Jahr ausweisen.
Praxistauglich ist der hybride Ansatz von QMware ganz offenbar, wie würden Sie Ihren Ansatz perspektivisch einschätzen: Brückentechnologie in Richtung natives Quantencomputing oder mehr?
Georg Gesek:... ganz eindeutig mehr - eigentlich ein neues Paradigma, das wir kreieren. Wir bringen leistungsfähiges Quantencomputing, klassisches Hochleistungsrechnen und eine speicherzentrierte Computing-Architektur zusammen. Und wir sind jederzeit in der Lage, natives Quantencomputing und andere Innovationen zu integrieren, ohne dass die Software umgeschrieben werden muss.
Das Konzept stellt tatsächlich eine breite Brücke in die Computing-Zukunft dar, aber eine Brücke, die konzeptionell auch selbst tragfähig ist und mit der Entwicklung mitwächst. Der Garant für dieses organische Wachsen ist nicht zuletzt unsere Software-Expertise.
Auf die Software würde ich gern noch einmal zurückkommen. Sie haben gesagt, Ihre Experten sind gelernte Physiker und Mathematiker. Bleibt also das Programmieren Ihres Systems ein Fall für Spezialisten?
Markus Pflitsch: Also, wir haben ein Baukasten-System von Quanten-Schaltkreisen. Wenn man deren jeweilige Funktionsbeschreibung versteht, stellen diese quasi eine höhere Programmiersprache dar. Der Nutzer muss nicht alle inneren physikalischen Vorgänge in den Schaltkreisen verstehen. Aber die Programmierung ist relativ hardwarenah. Der Quantenschaltkreis wird ja sozusagen per Software on the fly konfiguriert.
Für unser System bieten wir aber ein C++-SDK und ein Python-SDK an, so dass der Programmierer oder die Programmiererin eine Quantencomputing-Basis hat wie etwa mit „Cirq“ bei Google. All das kann man in wenigen Monaten lernen.
Die Programmierung bleibt somit nicht Spezialisten vorbehalten. Wir ermöglichen durch unsere Librarys und durch die Abstraktion der Hardware-Spezifika weg vom Anwender die Entwicklung für eine viel breitere Community.
Sie haben eben die hardwarenahe Programmierung betont. Sehe ich das richtig, dass das aber nicht bedeutet, dass der Kunde oder die Kundin auf einen bestimmten Qubit-Typ programmiermäßig festgelegt ist? Schließlich arbeiten Sie mit virtualisierten Qubits.
Georg Gesek: Ganz genau. Und wenn Sie bedenken, dass es derzeit rund zwei Dutzend unterschiedliche Qubit-Systeme gibt, ist diese Unabhängigkeit von einer bestimmten Qubit-Physik ein großer Vorteil. Und bei uns gilt für neue Systeme die programmtechnische Abwärtskompatibilität zu den alten Systemen, sozusagen wie beim „x86“-Prozessortyp. Das stellt einen erheblichen Investitionsschutz für unsere Kunden dar.
Lassen Sie mich zu Ihrem Angebot Hybride Quantum-Computing-Cloud kommen, für das Mitte Januar ein eigens dafür ausgerüstetes Rechenzentrum in Wien eröffnet worden ist. Was unterscheidet Ihre Cloud beziehungsweise Ihr Cloud-Angebot von dem der üblichen Verdächtigen, also Google, Amazon, Microsoft et cetera?
Markus Pflitsch: Eigentlich ist die Unterscheidung sehr einfach zu benennen, die Auswirkungen des Unterschieds sind aber groß. Viele am Markt geführte Angebote sind Silo-Angebote in Sachen Quantencomputing. Wir dagegen haben die Komponenten Quantencomputing – ob virtualisiert oder nativ – und klassisches Hochleistungsrechnen zusammengefügt. Letztere Komponente hat noch die Erweiterungsmöglichkeiten in puncto Spezialprozessoren.
Aber es gibt auch noch einen wichtigen anderen Unterschied. QMware bietet seine innovative Technologie ganz explizit als europäische Alternative an. Basierend auf offenen Schnittstellen und Entwicklungswerkzeugen für Plattformen von Marktführern in anderen kommerziellen Segmenten liefert QMware GaiaX-kompatible Services, welche den EU-Datenverarbeitungsrichtlinien gemäß den europäischen Werten entsprechen.
Warum bieten Sie außer der Cloud auch eigene Rechenzentren zur Ausführung der Anwendungsszenarien an?
Georg Gesek: Das ist notwendig, weil die Software-Architektur so innovativ und hardwarennah ist, dass sie nur auf einer speziellen speicherzentrierten Rechenzentrumsarchitektur läuft. Vor allem der Teil mit den virtualisierten Quantenprozessoren funktioniert nur mit der Architektur in unserem Rechenzentrum.
Das heißt dann auch, dass das Wiener Rechenzentrum zwar das erste, aber nicht das letzte für das Angebot von QMware sein wird.
Markus Pflitsch: So ist es. Wir werden noch dieses Jahr weitere Rechenzentren für die hybride Quantencomputing-Cloud eröffnen, das nächste in Deutschland.
Wie ist die Bepreisung Ihres Services?
Markus Pflitsch/ Georg Gesek: Ganz einfach und kundenfreundlich nach Rechenzeit.
Zum Schluss noch eine Frage zu den Anwendungsfällen, die wir als erste im Rahmen dieser Rechenzentren sehen werden. Was sind die Anwendungsfelder, in denen Sie in naher oder auch ganz naher Zukunft Unternehmen als Kunden sehen?
Georg Gesek: Die Finanzbranche hat Markus Pflitsch ja schon genannt und durch ein Beispiel illustriert. Weitere wichtige Anwendungsfelder sehen wir in der Fahrzeugindustrie, vor allem beim autonomen Fahren, und in der medizinischen Diagnostik, beispielsweise in der Tumor-Erkennung.
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